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Myofaszial

Biotensegrity –

eine neue Bewegungsidee

Wer den Pferdekörper als BioTensegrity-Struktur begreift, versteht das neuro-myofasziale Gewebe (Faszien, Muskeln, Nervennetz) als einen den ganzen Körper und alle Körperbereiche durchziehenden „Ozean“, der dem Pferdekörper Form gibt, Zug und Lasten in der Bewegung über den ganzen Körper verteilt und ein Ganzkörper-Kommunikationssystem bereitstellt.

 

BioTensegrity

Ist ein Kunstwort: „Tensegrity“ ist zusammengesetzt aus dem englischen „tension“ (= Zugspannung) und „integrity“ (= Ganzheit, Vollständigkeit, Unversehrtheit, Zusammenhalt). Auf biologische System angewendet, nannte der amerikanische Orthopäde Dr. Stephen M. Levin dieses Denkmodell BioTensegrity (Biotensegrität).

Im BioTensegrity Modell sind Körper sich selbst organisierenden, hierarchische, Last verteilende und wenig Energie verbrauchenden Strukturen. Es gibt keine Hebel, Scheren oder Biegemomente, wie in der klassischen Biomechanik, die auf einzelne Strukturen wirken, oder entlang von Muskelketten.

Stattdessen gibt es nur Spannung und Kompression. Mit den Worten von Thomas Myers (2004): „Tatsächlich ordnen sich genau genommen alle miteinander verbundenen strukturellen Elemente eines Tensegrity-Modells als Antwort auf einen lokalen Stressor neu an. Wenn die Belastung zunimmt, ordnen sich mehr und mehr Elemente in der Richtung der Zugkraft an, so dass es zu einer linearen Versteifung des Materials kommt. Anders ausgedrückt: Tensegrity-Strukturen sind elastisch und werden umso stabiler, je mehr sie belastet werden.“ 

Das bedeutet zugleich auch: Strukturen, die scheinbar nicht direkt – z.B. durch Muskelketten – miteinander verbunden sind, stehen dennoch über Faszien in direktem Informationsaustausch!

Faszien

Der Begriff Faszie ist abgeleitet von dem lateinischen Wort „fascia“, das laut Pons „Binde, Band, Bandag“ (2022) bedeutet.

Das internationale Fascia Nomenclature Committee (FNC) schlägt vor, Faszien und Fasziensystem folgendermaßen zu definieren:

Die Faszie ist (abgeleitet von dem lateinischen Wort „fascia“) eine Hülle, ein Blatt oder eine andere zerlegbare Ansammlung von Bindegewebe, die sich unter der Haut bildet, um Muskeln und andere innere Organe zu befestigen, zu umschließen und zu trennen.

Das Fasziensystem besteht aus dem dreidimensionalen Kontinuum von weichem, kollagenhaltigem, lockerem und dichtem faserigem Bindegewebe, das den GANZEN Körper durchdringt. Es umfasst Elemente wie das Fettgewebe, Adventitiae und neurovaskuläre Umhüllungen, Aponeurosen, tiefe und oberflächliche Faszien, Epineurium, Gelenkkapseln, Bänder, Membranen, Hirnhäute, myofasziale Ausdehnungen, Perioste, Retinacula, Septen, Sehnen, viszerale Faszien, und alle intramuskulären und intermuskulären Bindegewebe einschließlich Endo-/Peri-/Epimysium.

Das Fasziensystem durchdringt und umgibt alle Organe, Muskeln, Knochen und Nervenfasern und verleiht dem Körper eine funktionelle Struktur und eine Umgebung, die es allen Körpersystemen ermöglicht, auf integrierte Weise integrieren. 

Das Fasziensystem ist eine dynamische, reaktives und neuro-mechanosensible Struktur. In Bewegung können Faszien die örtlich entstehenden, kinetischen Energien speichern (Katapultefekt) und wieder abgeben; sie sorgen für die Kraftübertragung von Muskeln und Muskelketten, dienen Muskeln als Verschiebeschicht, und anderes mehr. Faszien und eine funktionierende Muskel-Faszien-Arbeitsteilung erlaubt es einem Pferd, sich geschmeidig, federnd und fast geräuschlos zu bewegen.

Therapeutische Hilfe, die sich von BioTensegrity inspirieren und informieren läßt, arbeitet daher 

  1. Im Stand: lösen Verklebungen in Faszien, lockern Muskeln und erhöhen die Bewegungsfreiheit der Gelenke
  2. Und in der Bewegung: dem Pferd die ursprüngliche Bewegungsidee zurückgeben, und damit Balance, Stabilität, und Mobilität.

 

Bewegungstraining: BioTensegrity Myofasziale Integrität

Was bedeutet „dem Pferd die ursprüngliche Bewegungsidee“ zurückgeben?

  1. Das Pferd nutzt stabilisierende Muskulatur (z. B. den M. serratus), um den Rumpf zu stabilisieren und anzuheben. Dadurch ist die Bewegungsmuskulatur frei für Mobilität und Flexibilität.
  2. Dann kann das Pferd statt in Extension sich in Flexion bewegen, dadurch werden die Bewegungen fließend und harmonisch, der Rücken kann schwingen, Versammlung in Balance ist möglich, und mehr.

Das Pferd kann sich ökonomisch und frei in seinen Gelenken, mit seinen Muskeln und Sehnen, mit geringem Energieverbrauch bewegen, flektieren und rotieren, wenn das Fasziennetz straff und belastbar, dabei maximal elastisch ist.

Zum Aufbau und Erhalt sind regelmäßig und vielseitige, ggf. in einer Bewegungstherapie gezielt gesetzte Belastungsreize nötig. Und das regelmäßig!

Ergebnis

Fühlt sich das Pferd in seinem Körper wohl, ist es schmerzfrei und spürt es, dass es Kontrolle über seinen Körper und seine Balance hat, kann das Pferd psychisch seinen Dauer-Fluchtmodus loslassen. Es kann geistig entspannt und sich auf Neues einlassen: Lebensfreude, Freude an Bewegung – und an der Zusammenarbeit mit seinem Menschen.

 

Weiterführende Literatur und Webseiten:

http://biotensegrityarchive.org/

„Ziel ist die Leichtigkeit, nicht das Verhindern von Explosionen“

(Monica Theodorescu)